Projektseite zur Gruppenausstellung in den kunstarkaden
Manipulation of Delphi
„Erkenne dich selbst“ stand über dem Orakel von Delphi; aber wie erkennt man sich in der Gegenwart? In der Coronazeit haben wir gelernt, dass Prognosen öfters die Form von Orakeln annehmen und die heutigen Orakel als Prognosen daherkommen. Was sagt das über uns?
Die kollaborative Ausstellung widmet sich genau diesen Fragen und erscheint darin angesichts der Planung, die bereits 2019 stattfand, geradezu prophetisch. Titelgebend war die sogenannte „Delphi-Methode“, ein mehrstufiges qualitatives Entscheidungsverfahren, das auf Aussagen sehr unterschiedlicher Expertïnnen beruht. Die Delphi-Methode ist somit ein geistiges und kollektives Experiment, das auf die Zukunft gerichtet ist. Dieses Verfahren übersetzen die drei künstlerischen Positionen in eine Serie von Materialexperimenten: Sie spielen das unsichere Verhältnis von prognostizierbaren und unvorhersehbaren, manipulierbaren und unkontrollierbaren Materialprozessen und Materialeffekten aus.
Bei Magdalena Waller stehen flächige Oxidationsprozesse und deren Verhinderung durch Fixierungseingriffe im Vordergrund. Julia Klemm und Christian Engelmann setzen auf den Brennofen im keramischen Prozess. Das mehrstufige Ineinander von künstlerischer Prognose, von Eingriff und materieller Eigendynamik bringt unterschiedliche Ergebnisse hervor: An antike Architekturformen angelehnte Figurationen erscheinen in Wallers Gemälden mal mehr, mal weniger prägnant vor gitterartig angeordneten Mosaiken aus Blattsilber. Die Künstlerin arbeitet mit ihren sich selbst formenden Lichtgemälden mit den natürlichen Oxidationsprozessen von Blattmetallen, ein Verfahren, das in der japanischen Tempelmalerei Anwendung findet. Die Entscheidung, diesen natürlichen Prozessen Tag für Tag ihren Lauf zu lassen oder sie zu fixieren, gestaltet sich in jeder Arbeit individuell.
"Know thyself" was written above the oracle of Delphi; but how does one know oneself in the present? During the COVID-19 pandemic we learned that predictions more often take the form of oracles, and today's oracles come across as predictions. What does this say about us?
The collaborative exhibition Manipulation of Delphi addresses these questions, and its title seems almost prophetic in this, given the planning that had already taken place in 2019. “Manipulation of Delphi” was inspired by the so-called "Delphi method", a multi-stage qualitative decision-making process based on statements from very different experts. Thus, the method is an intellectual and collective experiment, directed towards the future. The three artistic positions translate this procedure into a series of material experiments. They play out the uncertain relationship between predictable and unpredictable, between manipulable and uncontrollable material processes and material effects.
In her paintings, Magdalena Waller focuses on the tension between self-activated oxidation dynamics and fixing interventions. Julia Klemm and Christian Engelmann take the kiln as starting point within the transformative ceramic process.
In their complex interplay, artistic prognosis, intervention and material momentum produce different results: In Waller's paintings, architectural figurations, abstracted from ancient models, appear on silver leaf mosaics arranged in lattice-like structures with outlines of varying concision. In these self-forming light paintings, Waller uses natural oxidation processes of leaf metals, a traditional technique in Japanese temple painting. The decision to arrest the process of oxidation, or allow it to continue, appears individually in each work. Waller’s paintings communicate with equally fragile sculptural assemblages by Klemm.
Diese Werke kommunizieren mit ebenso fragilen, das Moment des Umkippens und Zerbrechens suggerierenden skulpturalen Assemblagen von Klemm, die sich aus instabil erscheinenden Gestellen und Keramikarbeiten zusammensetzen. Klemms künstlerisches Ausgangsmaterial sind keramische Porzellantiere, die sie fragmentiert, in weiteren Brennvorgängen sich neu konstellieren lässt und mit plastisch anmutenden Glasuren überzieht. Das Brennverfahren spielt auch bei Christian Engelmann eine entscheidende Rolle, der Nationalflaggen auf Keramikplatten dem Ofen überantwortet. Ein verweigertes Experiment stellt Engelmanns Arbeit „Standpunkt“ dar, eine Lichtinstallation aus Hochspannungsleuchten, die dazu einlädt, verschiedene Standpunkte auszuprobieren, diese Einladung aber gleichzeitig verweigert: In dem Raum herrscht tödliche Hochspannung, die jegliche Begehbarkeit unmöglich macht.
Erkennbar wird in dieser Ausstellung, dass prognostische und prophetische Aussagen die Zukunftssuchenden vor allem auf sich selbst und das eigene menschliche Unwissen zurückwerfen. Genau dies war, wie zahllose antike Tragödien zeigten, auch der Sinn des delphischen „Erkenne dich selbst“.
Die Ironie der Parzen, der Schicksalsgöttinnen, wollte es, dass die Ausstellung selbst größten Unwägbarkeiten ausgesetzt wurde. Die Coronapandemie schickte sie in ein fortdauerndes kuratorisches Experiment, das über eine ritualisierte Preview-Reihe in den Ateliers von Klemm und Waller und eine kurze Öffnung der kunstarkaden in eine erneute Schließung mündete, in der sie nun von außen durch die Fenster von der Sparkassenstraße aus zu besichtigen ist. Zudem entstehen unter der Regie der Künstlerïnnen Kurzfilme zur Ausstellung (s. Filme) und digitale Konzepte.
Tanja Klemm und Jan Söffner
Composed of seemingly unstable pedestals and ceramic objects, they suggest different moments of toppling and breaking, depending on the position the viewers take up in front of them. Porcelain animals are Klemm’s basic material. She fragments and recomposes them in multiple firings, all the while covering them with viscous glazes.
The firing process also plays a key role in Engelmann’s work, when he surrenders national flags on ceramic plates to the kiln. His work “Point of View” (“Standpunkt”) can be understood as a refused experiment. An installation of light rods invites visitors to move through the room and try out different points of view, but at the same time it rejects this invitation: the high voltage rods are deadly and make any access impossible.
Prognostic and prophetic statements throw those seeking the future back on themselves and their human ignorance. This is one possible insight of the exhibition. And it was precisely the meaning of the Delphic "know thyself" in many ancient tragedies.
The irony of the ancient fates would have it that the exhibition itself was exposed to the greatest imponderables. The COVID-19 pandemic sent it into an ongoing curatorial experiment, culminating in a ritualised preview series in Klemm’s and Waller’s studios and a brief opening at the Kunstarkaden. Now, the exhibition is closed again and can be seen from the outside, through the windows alongside Sparkassenstraße. In addition, short films (Filme) and digital concepts are being created under the direction of the artists.
Tanja Klemm und Jan Söffner
Ausstellungsansichten von außen bei Tag und Nacht